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„Wir“, sagt Casper, „schreiben heute Geschichte“

“Tausende Leute ziehen durch Chemnitz, instrumentalisieren einen erbärmlichen Mord und jagen wieder Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe. Es geht ihnen nicht darum zu trauern, sondern um ihrem Hass freien Lauf zu lassen. Es waren jedoch auch tausende Leute auf der Straße, die diese Hetze nicht hinnehmen wollten. Jede einzelne Person von euch feiern wir. Diesem rassistischen Mob hat man nicht unwidersprochen die Straße zu überlassen. Wir freuen uns, wenn noch viel mehr Leute den Arsch hochbekommen und wenn die Menschen, die sich diesen Zuständen immer wieder in den Weg stellen, auch mal Kraft tanken können. All den Menschen, die von den Neonazis angegriffen wurden, wollen wir zeigen, dass sie nicht alleine sind. Alle nach Karl-Marx-Stadt! Zusammen!” –aus der Pressemitteilung zum ‘Wir sind mehr’-Konzert

Acht Tage nach dem Mord an Daniel H. versammeln sich tausende Menschen in Chemnitz. Unter dem Motto “Wir sind mehr” versammeln sich Menschen mit einer linkspolitischen Orientierung am Nischl in Chemnitz. “Wir” ist die breite und beruhigende Mitte einer auseinandertreibenden Gesellschaft bis zum linken Rand. Die Mitte mag linke Musik.
Schon gegen Mittag sind es ungefähr 10000 Leute die vor der Bühne stehen. Über der Bühne steht “Aufstehen gegen rechte Hetze” und zahllose Pappschilder unterstützen die Parole mit Sprüchen wie “Karl mags nicht” und “Wer gegen Nazis demonstriert, ist nicht direkt links, sondern normal.”. 17 Uhr hält der Organisator eine Rede (“Ich sehe es, ihr seht es: Wir sind mehr. Und alle werden es sehen”) und danach wird für das Mordopfer eine Minute geschwiegen. Es wurde allen Opfern rechter Hetze mit den Worten “Hoch die internationale Solidarität!” gedacht. Während der Demonstration wurden auch Spenden gesammelt, wobei die Hälfte des Geldes an die Familie des Verstorbenen weitergeleitet wurde. Danach spielt der gebürtige Chemnitzer Trettmann.
17:55 Uhr beginnt die erste Band zu spielen. “Feine Sahen Fischfilet” ist allgemein als eine linke Band bekannt, hält sich aber weitestgehend relativ zurück mit ihrer Liederauswahl. Das bekannte Lied “Wut” wird beispielsweise nicht gespielt. Der erste Moshpit entsteht und Monchi (der Sänger der Band) hält eine Rede.
18:35 Uhr standen dann KIZ auf der Bühne. Sie nehmen ihren Beitrag sehr ernst und haben zwischen ihren Songs immer wieder Redebeiträge. Nach einem Rülpser gegen Verfassungsschutz und Hymnen wie “Hurra die Welt geht unter” ist ihr Auftritt nach einer halben Stunde leider schon vorbei.
19:15 Uhr ist dann Kraftklub angesagt. Die Jungs kamen in ihren Uniformen (rote Hosenträger und rote Harringtonjacke) und begrüßten die Demonstranten mit den Worten “Schönen guten Abend, Karl-Marx-Stadt! Wir sind Kraftklub aus Chemnitz!”. Bei der Heimathymne des 21. Jahrhunderts (https://www.youtube.com/watch?v=aF2o6LCaNqg ) singen alle mit. Kraftklub ist für die identitären Sachsen, besonders die Chemnitzer, ein Nestbeschmutzer. Doch Kraftklub weicht deswegen nicht von sich selbst ab.  “Es ist uns vollkommen klar, dass man mit einem Popkonzert am Montagabend nicht die Welt rettet”, sagt Felix Brummer, ein Mitglied der Band. Aber es sei schön, für diesen einen Abend nicht allein zu sein als Chemnitzer, wenn morgen alle anderen wieder weg sein werden.
19:45 Uhr steht Casper auf der Bühne. “Wir”, sagt Casper, “schreiben heute Geschichte.”. Marteria steht neben ihm und erzählt wie 1992 in Rostock-Lichtenhagen das Sonnenblumenhaus (Wohnort einiger Vietnamesen) in Brand gesetzt wurde. Nach mehreren gemeinsamen und jeweils einem Solosong verlassen auch sie wieder die Bühne. Jedoch nicht ohne das Denken der Menschen anzuregen und einen riesen Fußabdruck, durch Klassiker wie “Bengalischer Tiger” von Marteria (https://www.youtube.com/watch?v=WuFzlYquFuo ) in Chemnitz zu hinterlassen.
20:30 Uhr stand dann der letzte Act für diesen Tag auf der Bühne. Wie schon vor einem Jahr vor der Frauenkirche gegen Pegida stimmte Campino mit den Toten Hosen das Lied “Willkommen in Deutschland” an. Das letzte Lied “You’ll never walk alone” war wieder einmal von großer Bedeutung für die Demonstration!

Das einzige kleinere Problem waren die überfüllten Züge. In Leipzig wurden die Züge von Polizisten abgeriegelt, innerhalb des Zuges stand die Menschen wie Sardinen in einer Büchse. Einige mussten zwei Züge später nehmen als geplant, weil es zu viele waren. Auch auf dem Heimweg fiel ein Zug nach Leipzig aus, so dass der nächste erst eine Stunde danach kam. Natürlich überfüllt. Dafür waren die Menschen im inneren viel entspannter als erwartet, es wurde versucht, das Positive aus der Situation zu ziehen und man kam mit eigentlich fremden Menschen ins Gespräch. Für die relativ schlechte Verbindung nach Chemnitz und wieder zurück konnten die Veranstalter jedoch nichts. Sie haben es geschafft, ein Konzert, komplett kostenlos mit Wasser und Cola für umsonst in innerhalb von acht Tagen auf die Beine zu stellen. Bekannte Künstler auf der Bühne, Leinwände damit man auch hinten was sieht. Die Parkhäuser, Dächer und Treppenaufgänge voll mit Menschen mit dem selben Ziel! Keine Ausschreitungen, alles friedlich. Und all das Trotz der um weiten übertroffenen Besucherzahlen. “Ich hab nachgezählt: Wir sind mehr” stimmt. 65000 Besucher auf einer Demonstration, sowas hat Chemnitz sicherlich noch nie gesehen!

Für diejenigen, welche nicht zur Demonstration erscheinen konnten, wurde ein Livestream gestartet. Diesen kann man sich auch jetzt noch auf YouTube ansehen  https://www.youtube.com/watch?v=WuFzlYquFuo . Wichtig zu erwähnen ist aber, dass man (egal ob man nun in Chemnitz war oder nicht) auch im Alltag aufsteht und für seine Meinung kämpft und nicht nur dann, wenn es etwas gratis gibt. 

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