
Identität und Individualität am Theater
Das Schauspielhaus Leipzig gibt Einblicke in die neue Spielzeit: die Saison 2018/19 wird unter dem Motto “Ich Ich Ich Ich Ich” stehen. Während die aktuelle Spielzeit unter dem Motto “Angst oder Liebe” sich mit den großen Emotionen auseinandersetzen will, steht im kommenden Jahr Individualität im Vordergrund. Dabei soll versucht werden, das komplexe und vielleicht auch etwas vage Thema umfassend zu beleuchten, auf der ganz persönlichen Ebene wie auch auf der politischen, negativ und positiv.
“[Die] Polarisierung der Meinungen führt zu einer fortschreitenden Aufsplitterung der Gesellschaft. Nicht nur mit Blick auf das Klima des Miteinanders und die Möglichkeiten politischer oder gesellschaftlicher Debatten, sondern auch mit Blick auf Lebenswelten und Lebensgestaltungen”, so steht es im neuen Spielzeitheft. Eine Konzentration auf sich selber als Individuum in der Gesellschaft verspreche oft Besserung, Abgrenzung vom “Anderen”, von der Konkurrenz, sei ein allgegenwärtiges Bild geworden. Das Absolutsetzen des Selbst, der eigenen Ansichten, und damit eine Ablehnung fremder Überzeugung blockiere nicht nur politische Debatten, sondern erhöhe auch den Leistungsdruck, fördere Konkurrenzgedanken und Stress. Selbstverwirklichung wird heutzutage ganz groß geschrieben – doch zu welchem Preis?
Das Schauspielhaus Leipzig sieht sich selber vor einer Herausforderung, derer es sich gerne annimmt. Denn Theater bietet die Möglichkeit, Einblick in fremde Lebenswelten zu bekommen, einen Perspektivwechsel vorzunehmen, es ist “einer der Orte, an denen sich die Gesellschaft in ihrer Vielheit und Vielfalt begegnen und wahrnehmen kann”.
Und unter diesen Eindrücken, mit diesen Überlegungen im Hinterkopf machen sich die Regisseure und Schauspieler, die Masken- und Kostümbildner, die Techniker, Bühnenarbeiter und Inspizienten ab August 2018 wieder an die Arbeit. Die erste Premiere im Haus selber feiert am 29. September “Faust” – und damit ein Werk, welches den Individualismus wie selten ein anderes illustriert. Es folgen weitere bekannte Werke der älteren Generation wie “Der widerspenstigen Zähmung” von William Shakespeare oder “Prinz Friedrich von Homburg” von Heinrich von Kleist, aber auch Auftragswerke und Eigenkreationen wie “Disko” von Wolfram Höll, “atlas” von Thomas Köck und “Jeder stirbt für sich allein/Die Leipziger Meuten” nach Hans Fallada und Armin Petras. Ergänzt wird dies durch “Ännie” (T. Melle), “Süßer Vogel Jugend” (T. Williams), “Nacht ohne Sterne” (B. Studlar), “Lazarus” (D. Bowie/E. Walsh) und “Der Vater” (F. Zeller), sowie einer neuen Studioinszenierung, die im März 2019 Premiere feiert und ein umfassendes Programm von Gastspielen in der Residenz, der Spielstätte auf der Leipziger Baumwollspinnerei.

