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Ein nobler Schritt

Harvey Weinstein, Kevin Spacey und Lars von Trier – die am meisten diskutierten Fälle sexueller Belästigung betrafen bekannte Schauspieler und Regisseure. Nun dringt der Skandal auch in die Literaturwelt vor und schlägt dort ein wie eine Bombe: die Schwedische Akademie verkündete am Donnerstag, dass sie in diesem Jahr keinen Literaturnobelpreis vergeben werde. Stattdessen werde man den Preisträger des Jahres 2018 gemeinsam mit dem nächsten Preisträger 2019 vergeben.

Grund für diese Ankündigung sind Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen Jean-Claude Arnault, den Ehemann des Jury-Mitglieds Katarina Frostenson. 18 Frauen warfen dem Mann vor, sie unangemessen berührt zu haben – laut Recherchen der Welt wohl sogar die schwedische Kronprinzessin Viktoria – und provozierten so Frostensons Rücktritt. Die Aufregung war dem Paar allerdings offensichtlich nicht genug: im selben Atemzug wie auch die sexuelle Belästigung kamen auch die Veruntreuung von Akademiegeldern und Vetternwirtschaft ans Licht. Ein von Arnault gegründeter Kulturverein veranstaltete regelmäßig im Namen der Akademie Empfänge mit namhaften Schriftstellern und Schriftstellerinnen, das Wissen seiner Frau um die nominierten Preisträger wurde gezielt verwendet, um die Fördergelder des Vereins zu lenken.

Nachdem diese Dinge ans Licht kamen ist es nicht weiter verwunderlich, dass mehr als die Hälfte der Jury beschloss, ihre Arbeit niederzulegen. Ein Zeichen des Protests, das die Arbeit der renommierten Akademie lahmlegt – mit nur zehn von ursprünglich achtzehn aktiven Mitgliedern traut sich das Komitee keine repräsentative Entscheidung zu. Aber auch ein Zeichen, dass ganz im Sinne der Tradition der Akademie steht: man versucht, die Angelegenheit würdevoll zu Ende zu bringen und gesteht sich seine Fehler ein. So verschiebt man die Preisverleihung, um “Zeit zu investieren, das öffentliche Vertrauen in die Akademie wiederherzustellen – aus Respekt für vergangene und kommende Preisträger, für die Nobelstiftung und die Allgemeinheit”, wie es in der öffentlichen Stellungnahme der Akademie heißt.

Ein Aufschub der Preisverleihung ist im Regelwerk der Stiftung tatsächlich vorgesehen, die Gründungsmitglieder dachten dabei allerdings eher an einen Mangel an adäquaten Kandidaten als einen Skandal dieser Tragweite. Und die getroffene Entscheidung ist durchaus riskant, die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Der Verleger Svante Weyler warnt, dass ein Vorfall dieser Art das Ansehen der Akademie ausreichend ruinieren könnte, um sie für die Vergabe des wichtigen Preises zu disqualifizieren, Schwedens Regierungschef Stefan Löfven sieht vor allem die Position seines Landes gefährdet. Aber – und das ist wohl das eigentlich Wichtige – die Akademie und die Nobelstiftung fühlen sich mit der Entscheidung wohl. Glaubwürdigkeit spielt bei der Vergabe eines solchen Preises eine große Rolle und die sieht der Literaturwissenschaftler Anders Ollson aktuell gefährdet. Und – falls es einen Trost für das zerrüttete Gremium darstellt – der schwedische König Carl XVI. Gustaf zollt der Akademie Respekt bei für diesen Schritt: “Er zeigt, dass sich die Akademie nun darauf konzentrieren will, ihr Ansehen wiederherzustellen.”

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