
Untenrum frei – Margarete Stokowski
Allen Mädchen und Frauen alles Gute zum Frauentag. Oder so. Hohle Worte anlässlich eines Tages, dessen Sinn und Nutzen sich für viele von uns nicht direkt erschließt. Vielleicht haben einige von euch Blumen geschenkt bekommen. Ein passender Slogan dazu ist die Feststellung “We don’t fight for flowers!”. Es geht um etwas anderes an diesem Tag, der eigentlich kein besonderer Tag sein sollte. Ein Hinterfragen eingeschliffener Rollenbilder und gefestigter patriarchalischer Strukturen in unserer Gesellschaft sind definitiv notwendig – 365 Tage im Jahr. Wir nehmen dennoch den heutigen Tag zum Anlass, um euch eine unbedingte Lektüreempfehlung zu geben. Darüber hinaus versprechen wir euch: das wird nicht das letzte Mal sein, dass wir uns dem Thema widmen!
Warum finden wir bei Nanu Nana im Regal Penisnudeln oder andere “lustige” Accessoires in Penisform, jedoch keine Vulva? Allenfalls werden wir Plüschbrüsten oder ähnlichen Kuriositäten als unpassendem Pendant in der Produktindustrie begegnen, oder sie starren uns vom nächsten Werbeplakat an. Penisse werden an Klotüren verewigt, auf Häuserwänden oder bekommen eben ein eigenes Regal in der Produktabteilung eines Schrabbelladens. Die Vulva (die für sich genommen schon eine unzureichende Begrifflichkeit darstellt, denn diese bezeichnet nur den äußeren, sichtbaren Teil des weiblichen Geschlechts) ist keine Darstellung, die uns in der Öffentlichkeit begegnen wird. Außer vielleicht in einer Kunstausstellung, wie jüngst jene von Petra Mattheis unter dem Titel “Riding the Red Tide” (Die rote Welle reiten), welche sich mit Weiblichkeit und dem Tabuthema Menstruation auf künstlerische Weise auseinandersetzt. Im Alltag hat die Vulva keinen Platz. Als die Sexualtherapeutin Ann-Marlene Henning in ihrem TV-Format Make Love die Mädchen einer Schulklasse bittet, die Figur einer nackten Frau auf ein Glasfenster der Schule zu zeichnen, werden Brüste gezeichnet, aber das “untenrum” einfach ausgelassen. Eine Schülerin erbarmt sich schließlich und markiert die Stelle mit ein paar Haaren. Das weibliche Geschlecht ist weniger präsent und man spricht nicht offen darüber, hat bereits Probleme die richtigen Worte dafür zu finden.
Magarete Stokowski stellt völlig zurecht fest, dass derlei Umstände Symptome für den Zustand unserer Gesellschaft darstellen. Ein anderes Beispiel ist etwa eine Studie, die ergeben hat, dass die Sprechrollen in Disneyfilmen stark männlich dominiert sind. Selbst im Film Mulan, der eine emanzipierte Heldin zeigen will, die sich von der Männerwelt nichts vorschreiben lassen möchte, hat der männliche Drache einen weitaus größeren Sprechanteil als die Protagonistin. Ein ähnliches Phänomen wurde in Nachrichten untersucht. Männer haben das Wort. Frauen werden dagegegen gern gezeigt. In der Bravo und vergleichbaren Zeitungen wird man als aufmerksame*r Leser*in feststellen, dass man auch hier von erschreckenden Rollenklischees überschwemmt wird. Auch die typischen Frauen- und Männermagazine strotzen nur so davon.
Möglicherweise werden an dieser Stelle einige aufstöhnen, mit den Augen rollen und feststellen “Wir leben doch hier in Deutschland bereits in einer modernen, emanzipierten Gesellschaft.” Wenn dem so ist, können wir an dieser Stelle nur um so stärker empfehlen: Lest dieses Buch! Denn Stokowski stellt fest: “Während wir glauben, wir oder die Generationen vor uns, hätten die Fesseln des Patriarchats längst gesprengt, haben wir nur gelernt in ihnen shoppen zu gehen.” In ihrem Buch weist sie nach, woran das für uns sichtbar wird. Natürlich räumt sie ein “Die Gesellschaft ist komplex – auch aus feministischer Sicht. Es ist nicht alles Unterdrückung und Sexismus. Das ist ja der Witz, dass es kompliziert ist. Würde das Patriachat aus lauter billigen Kausalketten bestehen, wäre es viel leichter zu zerschlagen.”
Im Buch wird schlussendlich aufgezeigt, dass wir “untenrum” nicht frei sein können, so lange wir uns “obenrum”, also im Kopf, nicht von den tief eingeschliffenen Klischees und Rollenzuschreibungen verabschieden und die Gesellschaft in dieser Hinsicht neu mitgestalten müssen.
Neugierig geworden? Unter fogendem Link findet ihr Leseproben im PDF-Format: http://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/264925/untenrum-frei
Das Buch selbst ist über bpb.de derzeit vergriffen. Es lohnt sich allerdings, ab und zu nach einer Neuauflage zu schauen, denn im regulären Handel ist es um einiges teurer.

