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Leben im Tumult

Philosophieunterricht, elfte Klasse. Ein Arbeitsblatt. Stundenthema: Was ist der Mensch? Und dazu ein außergewöhnlicher Film. Warum außergewöhnlich?

Der Film “Koyaanisqatsi” – aus der Sprache der Hopi übersetzt als zerfallendes Leben oder Leben im Tumult – funktioniert komplett ohne Dialoge. Er ist ein Zusammenspiel aus eindrucksvollen Naturbildern und Momentaufnahmen menschlichen Lebens, untermalt von mal aufgeregt klackernder, mal sanft plätschernder Filmmusik. Der Kontrast zwischen Menschen und Natur ist deutlich: man sieht organische, weiche Wüsten und Ozeane und dann wieder einheitlich graue Hochhäuser, lange, funkelnde Autoschlangen und behäbige, ausdauernde Maschinen. Der einzelne Mensch verschwindet im Einheitsbrei des vorgefertigten Alltags und übt erbarmungslos seine Macht über die Natur aus.

Was hat das mit der Frage nach der Bedeutung des Menschsein zu tun? Nun, eigentlich nichts und am Ende doch alles. Der Film zeigt, was der Mensch tut, wie er sich in seine Umgebung einfügt, wie er in der Masse verschwindet. Er regt an, aus dem Tun des Menschen auf sein Sein zu schließen. Die Bilderflut beantwortet diese Frage nicht und auch eigentlich keine andere, aber sie gibt Denkanstöße. Ist die Essenz des Menschlichen die ganze Gesellschaft, das Abtauchen und Einordnen in der Masse oder ist es auch die Verzweiflung über ein leeres Feuerzeug, das gedankenverlorene Schlürfen eines Smoothies? Was passiert, wenn man einen Menschen aus der Masse herausgreift, wenn er bemerkt, dass eine Kamera auf ihn gerichtet ist, dass er als Individuum ausgewählt wurde?

Vielleicht ist der Mensch auch nur sein Sein. Seine Existenz im Moment, in der Masse, als Individuum. Er definiert sich über seine Erinnerungen und seine Gedanken, seine Leidenschaft und seine Taten. Und hier stellt sich keine Frage nach dem Wie, nach gut oder böse, nach Zerstörung oder Schaffen, sondern nur nach dem Ob.

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